Einmal sibirischen Winter erleben. Dahin reisen, wo der Schnee monatelang liegenbleibt – das war unser Ziel, als wir uns entschieden, in den nördlichsten Teil Kasachstan zu reisen. Und wir wurden nicht enttäuscht. In der Provinzstadt Kökshetau gibt es keine Strassen oder Gehwege mehr – es gibt nur noch Eisbahnen. An manchen Tagen fast blankes Eis, an anderen bedeckt mit einer Schicht Schnee. Jedenfalls montieren die Omas hier nebst Pelzmantel und Fellkappe auch sowas wie Spikes an ihre Schuhe und Gehstöcke. Gewusst wie!
Wir beziehen unser Appartment und dann nichts wie raus – wir können es kaum erwarten, endlich mal wieder die Sonne zu sehen! Wir spazieren zum gefrorenen See und sind begeistert! Keine Hitze, keine Sonnencreme, keine nervigen Sommerhits. Nur eisiger Wind, Stille und in der Ferne ein paar Eisfischer. So sieht der ideale Strandurlaub für Familie Amstad aus!
Ansonsten bietet Kökshetau wenig. Aber das macht uns nichts aus. Wir sind nicht hierher gefahren in der Erwartung, grossartige Sehenswürdigkeiten zu finden. Sondern um einen Einblick in das Leben hier im kalten Norden zu erhalten. Und so ziehen wir am darauffolgenden trüben Tag durch die Strassen und lassen uns ein Bisschen treiben. Bereits auf dem Heimweg stolpern wir über die liebste Freizeitaktivität der hiesigen Kinder: mit Gummiringen extra dafür angelegte Eisbahnen runterzuflitzen! Da können wir natürlich nicht widerstehen.
An zwei Tagen fahren wir ins nahegelegenen Mini-Skigebiet Elikti. Hier im Angebot sind Gummiring-Flitzen für Fortgeschrittene und Skifahren auf „Pisten für jedes Niveau“ an einem einzigen unendlich langsamen Bügellift. Und es ist kalt. Richtig kalt. Das Material an unseren Füssen hat wohl noch nie ein Tröpfchen Wachs gesehen und ist in einem derart schlechten Zustand, dass ich mehr oder weniger im Stemmbogen den Berg runterfahre. Gross R schafft einigermassen vernünftige Kurven. Und dennoch dürfen wir uns wieder Mal als die besten Skifahrer im Skigebiet bezeichnen 😊 Alles in allem ein grosser Spass!
Und dann geht es noch weiter nordwärts. Irgendwo haben wir gelesen, dass Petropavl eine typisch sibirische Stadt sei, umgeben von tausenden Seen und Birkenwäldern. Und das ist für uns eigentlich schon Grund genug, da hinzureisen. Sehenswürdigkeiten gibt es, wie schon in Kökshetau, keine. Petropavl liegt nur 40 Kilometer von der Grenze Russlands, und damit auch Sibirien, entfernt. Die Uhren am Bahnhof liefen bis vor Kurzem nach Moskauer Zeit und die Transsibirische Eisenbahn macht hier Halt auf ihrem Weg von Moskau nach Peking.
Unser Tagesrhythmus ist ziemlich klar – da es erst so um halb zehn Uhr langsam hell wird, lohnt sich kein frühes Aufstehen. Nur Klein R hat das noch nicht ganz verstanden, aber das ist ein anderes Thema 😊 Also frühstücken wir, hangen ein Bisschen im Appartment rum und gehen so um 11 Uhr langsam raus. Um halb eins kehren wir irgendwo ein und am Nachmittag unternehmen wir, was man hier halt so unternehmen kann. Konkret heisst das, wir sausen wieder mal mit Gummi-Reifen die Eisrutschen runter, spazieren durch Eislabyrinthe, schauen den Eisfischern zu oder gehen ins lokale Museum oder ins Kaffee. Spätestens um vier Uhr sind wir wieder „zu Hause“, denn dann wird es wieder dunkel.
Petropavl ist eine schöne Stadt. Es gibt eine Fussgängerzone mit vielen alten Kaufmanns-Häusern und natürlich auch Relikte aus der Sowjetzeit. Zum einen die grossen Mosaike an den Fassaden und zum anderen alte Fabriken und hässliche Wohnblöcke. Und noch gibt es ganze Quartiere mit typisch sibirischen Holzhäusern. Die ältesten sind schon tief in den Boden gesunken und wirken unter dem vielen Schnee wie kleine Zwergenhäuser.
Unweit des Stadtzentrums liegen der geforene See Postroye und der Fluss Ischim. Am einzigen sonnigen Tag nutzen wir die Gunst der Stunde und machen uns auf in die Natur. Und eines will gesagt sein: bei Minus 24 Grad und starkem Wind wird jedes einzelne Foto teuer mit Gross L‘s schmerzenden Händen bezahlt. Aber solche Bilder sind die Strapazen Wert, finde ich:

Vielleicht fragt ihr euch, was wir bei Temperaturen, die laut Wetterbericht „gefühlt -32° Celsius“ betragen, für Kleider tragen:
- 2 Thermohosen und 1 winddichte Wanderhose bzw. Skihose
- 2 Thermoshirts, 1 Fleece, 1 Daunenjacke und 1 Mantel bzw. Skijacke
- Kappe, dicke Kaputze, 2 Lagen Handschuhe, Schal, 2 paar dicke Wollsocken und Winterstiefel
Wir lernen hier aber auch, dass es eben noch viel wärmere Kleidung gäbe, als das, was wir in der Schweiz kennen. Fellstiefel, isolierte Gummistiefel oder Unterwäsche aus Kamel- und Yakwolle stehen hier weit oben auf der Liste. Und natürlich Pelzmantel und Pelzkappe. Ohne solche Ausrüstung könnte man hier unmöglich draussen arbeiten.
Je kälter draussen, desto deftiger die Speisen drinnen. Und hier in Petropavl sind die Speisen ganz nach unserem Geschmack. Gesalzener Hering, eingelegte Tomaten, Essiggurken, Sardinen, Kartoffelstock und Knödel. Dazu Vodka. Auch wenn du ihn nicht bestellst. Aber wie überall in Kasachstan gibt es auch hier diesen für uns ungewohnten Mix zwischen West und Ost, zwischen russisch geprägt und muslimisch. Somit könnten wir natürlich auch Shashlik, Plov oder Schawarma schlemmen. Aber davon hatten wir genug und wir haben noch mehrere Wochen in Aserbaidschan und der Türkei vor uns – also nichts wie her mit dem Hering!
Und nun sind wir also am nördlichsten Punkt unserer Reise angekommen. Den östlichsten Punkt haben wir in Almaty bereits hinter uns gelassen. Mit dem Abschied von Petropavl beginnt also nach gut sieben Monaten auf Achse hier unsere Heimreise.
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