Nach einer Woche in Svanetien entscheiden wir uns für eine weitere Woche in einer anderen Ecke des grossen Kaukasus. Wir umfahren also die Hauptstadt Tbilisi und biegen ab Richtung Norden auf den Great Military Highway. Anders als es der Name verspricht, ist dieser weder Great noch Highway, sondern eine stellenweise marode Strasse. Dennoch ist es der einzige für alle offene Grenzübergang zwischen Georgien und Russland und somit eine zentrale Verkehrsachse. Die zwei weiteren Strassen, die den Kaukasus „durchbrechen“, liegen in der mehr oder weniger unabhängigen und von Russland militärisch unterstützten Republik Ossetien.
Dementsprechend viele LKWs reihen sich hier aneinander und warten stundenlang, bevor sie zum Grenzübergang vorgelassen werden. Angesichts der aktuellen Geschehnisse ist es schon paradox, wie sich hier Lastwagen aus Armenien, Georgien, Russland und der Türkei scheinbar zufällig aneinanderreihen. Nur Aserbaidschan scheint keine LKWs zu besitzen. Brauchen sie wahrscheinlich nicht, denn sie leben ja ganz gut vom Gasexport.
Der Great Military Highway führt uns durch Gudauri – das mit Abstand grössten Skiresort des Kaukasus. Diese chaotische Ansammlung von Hotels und arabischen und indischen Restaurants – alle betont halal - wirkt wenig einladend. Einige meinen, dass die Hotels allesamt im Eiltempo hochgezogen wurden und dementsprechend schon bei Eröffnung halb baufällig sind. Mit unseren meist schönen Dörfern in den Schweizer Skigebieten hat dies wenig zu tun. Schade, denn die baumlosen Hänge sehen sehr vielversprechend aus. Und schliesslich erreichen wir Kazbegi – den touristischen Hotspot des grossen Kaukasus nur wenige Kilometer vor der russischen Grenze.

Eine anstrengende Wanderung bringt uns auf 3000m über Meer und eröffnet den wunderbaren Blick auf den 5054m hohen Mount Kazbek. Am Fusse des Gletschers gäbe es sogar eine sehr schöne Hütte – absolut vergleichbar mit unseren modernen SAC Hütten. Diese ist aber so teuer, dass wir verzichten.
Wir benötigen wieder mal eine Dusche und für unsere ungeheizte «Marmot-Dusche» ist es bei morgendlichen Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt nun definitiv zu kalt. Wir entscheiden uns deshalb für ein Guesthouse und fahren ins nahegelegne Sno Valley. Die Strasse zum hintersten Dorf Juta ist kaputt uns so unternehmen wir die letzten paar Kilometer zu Fuss. Meggie und Levan empfangen uns mit Schokolade, heisser Milch und Kaffee und sind während unseres ganzen Aufenthaltes sehr herzliche Gastgeber. Klein R kriegt einen neuen Namen verpasst: Barbie. Dafür nennt sie Levan mit seinem weissen Bart Samichlaus. Die mit Gas beheizte heisse Dusche ist eine Wohltat und das Badezimmer als wärmster Ort des Hauses nutzen wir zum Aufwärmen.

In Juta gibt es wenig mehr als ein Hotel, eine handvoll Guesthouses und zahlreiche «Horses for rent». Aber das Panorama ist spektakulär und erinnert an das bekannte Bild des Torres del Paine Nationalparks in Patagonien. Unsere Wanderung zum Chaukhi Lake kann man nur als «eifach schön» beschreiben. Unterwegs finden wir mehrere Kristalle und zum Abschluss der Wanderung kehren wir im 5th Season ein. Wer hätte gedacht, dass es hier in dieser hintersten Ecke des Kaukasus eine ansprechende moderne Bar gibt, die lokales Bier, herrlichen Kuchen und anständigen Kaffee serviert? Zum Abendessen tischt Meggie hausgemachte Khinkhali (gefüllte Teigtaschen) und natürlich eine ordentliche Ladung Cha-Cha (Traubenschnaps) auf. Besser kann ein Tag in den Bergen eigentlich nur mit Skiern an den Füssen werden.
Letzte Station im grossen Kaukasus ist das Truso Valley, welches sich landschaftlich stark vom Sno Valley unterscheidet. Hier gibt es ein paar ungewöhnliche Phänomene, so zum Beispiel einen kleinen Tümpel, aus dem Mineralwasser sprudelt. Oder leuchtend orange Ablagerungen, die nach Schwefel stinken. Das ganze Tal ist mehr oder weniger verlassen. Nur ein paar Mönche, Nonnen und Hirten mit ihren Herden wohnen noch da.

Langsam wird es Herbst, die Birkenwälder leuchten in einheitlichen gelb und die Temperaturen schwanken zwischen knapp über 0 und 25 Grad Celsius. Landschaftlich hat Georgien sehr, sehr viel zu bieten. Trotz relativ kleiner Fläche sind die Gegenden aussergewöhnlich abwechslungsreich und die Natur ist noch wild. Die meisten Flüsse wurden noch nicht gebändigt und begradigt, die Wälder sind ursprünglich und viele Täler sind kaum bebaut.
Einige von euch haben uns nach dem ersten Bericht gefragt, ob es uns nun besser gefalle in Georgien. Es gefällt uns allen sehr gut. Und wir haben neben den Mürrischen auch ganz viele freundliche und herzliche Georgier kennengelernt. Einige «Kenner» meinen, dass manche Einheimische wegen der schwierigen politischen Vergangenheit eher rau und grob sind. Andere sagen, dass viele stark konservativ und religiös sind, und sich deshalb vor einer Öffnung und dem Tourismus fürchten. Wieder anderen interpretieren, dass grad die ältere Generation der Sowjetunion nachtrauert und deshalb gegenüber westlichen Touristen kritisch eingestellt sind. Ich glaube, die Georgier machen sich einfach nichts draus, ihre schlechte Laune zu verstecken. Wenn es sie grad «anscheisst», dann scheisst es sie halt grad an. Und die allermeisten tauen meist nach kurzer Zeit auf. Und auch in manchem mürrischen Gesicht blitzt oftmals ein kleines Lächeln durch.
Nun ist es für uns Zeit für die Hauptstadt bevor wir dann im Oktober auf einem Bauernhof als Freiwillige arbeiten werden. Tbilisi hat den Ruf, eine der hippsten Städte Europas zu sein (obwohl es lustigerweise nicht in Europa liegt). Wir sind gespannt und kramen mal unsere "Stadtkleider" hervor.
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