Am 27. Oktober überqueren wir die Grenze zu Armenien. Wir wissen wenig über dieses kleine Land. Und es stellt sich heraus: Armenien ist fast ein Bisschen Liebe auf den ersten Blick. Die freundliche Grenzbeamten heissen uns herzlich willkommen, bestaunen Marmot und schon kurz nach der Passkontrolle kriegt Klein R Chips und Schokolade geschenkt. Unser erstes armenisches Mittagessen, ein Fladenbrot gefüllt mit Poulet, Gemüse und Kräutern, schmeckt köstlich.
Die fleissigen Leser unter euch haben mittlerweile wohl festgestellt, dass die Beschaffung der lokalen SIM-Karte kurz nach der Grenze ein guter Indikator dafür ist, wie wir das Land erleben werden. In Armenien werden wir professionell, ehrlich und freundlich beraten. Und auch diesmal täuscht der erste Eindruck nicht. Die Armenier scheinen immer gute Laune zu haben, sind hilfsbereit, humorvoll und doch irgendwie zurückhaltend, manchmal fast schon ein wenig schüchtern. Wir Schweizer fühlen uns wohl.
Vielerorts wirkt Armenien auf uns wie aus der Zeit gefallen. Etwa die Hälfte der Autos sind Stücke wie sie bei uns nur noch in Museen zu finden sind. Hauptsächlich Russische Ladas prägen das Bild. Rein vom Design her würden wir sofort so ein Auto kaufen, wären es nicht fahrende Schrotthaufen. Gefühlt jeder zehnte Lada steht mit geöffneter Motorhaube da – Ladas reparieren scheint für die Männer hier sowas wie ein Volkssport zu sein.
Eine weitere Männerbeschäftigung ist das Verbrennen von Müll im Garten. Das soll sicherlich kein Vorwurf sein, denn wir würden genau gleich handeln, käme bei uns nicht einmal die Woche die Müllabfuhr vorbei, um uns unseren Dreck abzunehmen. Aber der beissende Gestank, der dauernd in der Luft liegt, ist zeitweise richtig übel und füllt jeweils ganze Täler mit bläulichen Rauchschwaden. Oftmals kommt ein dunstiger Wolkenschleier dazu, der zusätzlich die Sicht trübt. Und so wirken in Armenien an manchen Tagen selbst die skurrilsten und schönsten Landschaften irgendwie fade.
Und jetzt im November sind die meisten Bäume schon kahl und das Gras ist nicht mehr grün. Im Frühling, wenn abertausende Wildblumen blühen, muss es hier wunderbar sein. Die Landschaften wechseln sich im Rekordtempo ab. Wir fahren durch tiefe Canyons aus roten oder schwarzen Felsen, queren Vulkanfelder, die über und über mit ausgespuckte Klumpen bedeckt sind, passieren Schneeberge, Steppen und Wälder und kämpfen uns gemeinsam mit den schwer beladenen Iranischen Lastwagen die Gebirgspässe hoch.
Auf dem Vorotan Pass müssen sich die LKW-Fahrer, vor Allem aber ihre Lastwagen erstmal erholen. Nur um dann zwei Stunden später schon den nächsten Pass im Schneckentempo hoch zu tuckern. Die meisten älteren Reiseberichte beschreiben die Armenischen Strassen als katastrophal. Ganz offensichtlich wurde in den letzten Jahren hier aber massiv investiert und so sind die meisten Hauptstrassen einwandfrei. Die Nebenstrassen jedoch gleichen noch einem richtigen Flickenteppich und es gelingt uns bei weitem nicht, jedes Schlagloch zu umfahren.

Armenien ist ursprünglich. Auf dem Friedhof grasen die Pferde und selbst in der Stadt hört man den Hahn krähen und die Schweine grunzen. Lärm von Motorsägen deuten darauf hin, dass sich die Leute auf den Winter vorbereiten. Und obwohl Armenien sichtlich arm ist, scheinen die Menschen grossen Wert auf Qualität zu legen. Die Häuser sind gut gebaut und oftmals sogar isoliert. Die Räume sind liebevoll, wenn auch nicht ganz nach unserem Geschmack, dekoriert. Die Obst- und Gemüsehändler präsentieren ihre frischen Produkte ordentlich und ansprechend. Die Toiletten sind sauber, die Türfallen funktionieren und die Schrauben an den Spielgeräten auf den Spielplätzen sind in der vorgesehenen Stückzahl vorhanden und richtig angezogen. Eben, wir Schweizer fühlen uns wohl.
Und natürlich hat Amenien auch klassische Sehenswürdigkeiten zu bieten. Bei fast allen handelt es sich um Klöster und Kirchen. Dies erstaunt kaum, denn Armenien war das erste Land, welches das Christentum zur Staatsreligion erklärt hat und noch immer scheint die Religion hier eine enorme Bedeutung für die Menschen zu haben. Die Kirchen und Klöster die wir besuchen tragen klingende Namen wie Haghpat, Sanahin, Norawank, Tatev, Khor Virap und Geghard. Und sogar wir Religionsmuffel sind fasziniert von der andächtigen Stimmung, die in einigen dieser dunklen und kargen Hallen vorherrscht. Die Wichtigkeit und Jahrhunderte alte Geschichte dieser Orte ist deutlich zu spüren. Die düsteren, kargen Steinbauten lassen uns zudem vermuten, dass die Drehbuchautoren von Herr der Ringe und Game of Thrones ziemlich sicher auch mal hier zu Besuch waren.
Einige der Klöster besetzen spektakuläre Standorte. So zum Beispiel das Kloster Norawank, welches am hintersten Ende einer orange-rot gefärbten Schlucht auf einem Felsvorsprung thront. Oder Tatev, welches wir mit der weltweit längsten Seilbahn über ein tiefes Tal erreichen! Unser Liebling ist aber Khor Virap. Dieser Klosterkomplex hat sich mit dem 5137m hohen Mount Ararat die prächtigste Kulisse ausgesucht. Und während sich die Armenier von den Mönchen und Priester segnen lassen, staubt Klein R von ebendiesen fleissig Süssigkeiten und Schokolade ab.
Auf dem Weg nach Khor Virap schaffen wir sogar noch das Unmögliche. Wir biegen einmal aus Versehen falsch ab und schon befinden wir uns auf einer Strasse, die doch tatsächlich durch Aserbaidschan führt. Und das für ca. drei volle Kilometer – ein kleiner Fleck Aserbaidschan, umgeben von Armenien. Etwas weiter dann fahren wir durch ein Gebiet, in dem wir nie ganz sicher sind, ob wir jetzt grad auf Aserbaidschan, den Iran oder die Türkei schauen.
Neben dem Kloster Khor Virap klettern wir auf einen kleinen Hügel und blicken wieder einmal auf einen geschlossenen Grenzzaun. Seit 1993 kann niemand die Grenze zwischen Armenien und der Türkei passieren. Die Türkei hatte die Grenze damals einseitig geschlossen, was für Armenien wohl bis heute grosse wirtschaftliche Folgen hat. Dabei stehen einige Häuser keine 10 Meter von ebendiesem Zaun entfernt und wir fragen uns, wie es sich anfühlen muss, hier zu leben und den eigenen Garten nie Richtung Westen verlassen zu können. Der Berg Ararat übrigens steht auf Türkischem Boden, hat für die Armenier aber eine grosse Wichtigkeit. Die Arche Noah soll hier gestrandet sein und einige bezeichnen das Gebiet rund um Ararat bis heute als Western Armenia.

Nun haben wir in diesem kleinen Land bereits Einiges gesehen und sind insgesamt seit fünfeinhalb Monaten unterwegs. Es ist also Halbzeit und wir sind kein Stück reisemüde. Wir haben fast die gesamte Zeit seit unserer Abreise draussen verbracht. Aller meistens hatten wir riesiges Wetterglück. Nur gerade drei Mal mussten wir auf unseren „Notfall-Schlaf-Modus“ zurückgreifen und bei geschlossenem Dach schlafen. Zweimal wegen Sturm, einmal wegen Inkognito-Modus und niemals wegen Starkregen. Dennoch wird es nun langsam aber sicher Winter und wir frühstücken vermehrt in unserer kleinen Kabine. Die letzten gelben Blätter winden uns um die Ohren. Und obwohl die tiefstehende Novembersonne hier tagsüber noch richtig schön wärmt, wird es nach Sonnenuntergang schnell empfindlich kalt. Und so sind wir nicht ganz unglücklich darüber, dass wir Marmot bald für einige Wochen „in den Winterschlaf versetzen“ und als Backpacker unterwegs sein werden.
Bevor es aber so weit ist, liegt noch Armenien’s Hauptstadt Yerewan vor uns. Im Reiseführer steht, man solle alles vergessen, was man über Yerewan denkt. Es sei garantiert komplett anders. Das klingt ganz so, als möchten wir da sehr gerne reinschauen!

Herzlichen Dank für den weiteren tollen Reisebericht... geniesst es weiterhin und "heit sorg"!
GlG Heidi
Hallo zusammen
Danke für die großartigen Bilder und Reiseberichte.. spannende Erlebnisse und schöne Eindrücken.
Wie geht es euch? Ria noch kein Heimweh?🤩🥰