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Achterbahnfahrt

Autorenbild: Gross LGross L

Der Grenzübertritt von der Türkei nach Georgien verläuft geschmeidig. Wir sind fast die einzigen. Zumindest fast die einzigen in einem PKW. Für die LKW-Fahrer sieht das ganze etwas anders aus. Etwa 30km reiht sich LKW and LKW. Von weit her kommen sie (Kazachstan, Azerbaijan, Russland, Weissrussland, Ukraine und Türkei) und warten hier sicherlich mehrere Tage in der brütenden Sonne, um in die Türkei zu gelangen. Wir fahren an der Schlange vorbei und in die nächste Kleinstadt, um dort eine SIM-Karte zu kaufen. Schon auf den ersten Kilometern fällt auf, dass Georgien aufgeräumter ist, als die Türkei. Obwohl die Gegend ärmer scheint, als im Nachbarsland, liegt zum Beispiel kaum Müll rum.

So weit so gut. Ab dem Betreten des SIM-Kartengeschäftes geht es aber steil bergab. Hier scheint unsere schiere Anwesenheit Grund genug zu sein, uns für die Misere eines ganzen Landes verantwortlich zu machen. Schlechte Arbeit, wenig Geld, Inflation. Schliesslich erhalten wir doch eine SIM-Karte mit unklaren Leistungen von irgendeinem Provider und werden mit einem hämischen Grinsen aus dem Laden verabschiedet. Wir denken zurück an die gleiche Situation einen Monat zuvor in der Türkei. Hier wurde unser SIM-Kartendeal mit Tee und Kaffee gefeiert und die Mitarbeiter zeigten uns ganz stolz Fotos von ihren Kindern.


Genau, einen Kaffee hätten wir jetzt gerne. Leider gibt es in der Stadt irgendwie kein Wasser. In der nächsten Ortschaft gibt es Wasser, aber die Kaffeemaschine ist kaputt. Nach etwa 20 Minuten stehen dann doch noch zwei viel zu süsse Nescafe-Brühen vor uns. Dann kaufen wir uns endlich mal wieder Joghurt – die Temperaturen sind mittlerweile relativ kühl, so dass es sich sicher bis am Morgen halten wird. Fehlanzeige, das Joghurt ist voller Schimmel. Klein R ist „not amused“, schliesslich hat sie sich so auf dieses Joghurt gefreut. Es wird besser werden, bestimmt.


Leider tragen die grimmigen Gesichter der Georgier wenig zur allgemeinen Aufheiterung bei. Die Stimmung scheint irgendwie grob. Vielleicht liegt es auch an uns und wir sind einfach verweichlicht von der überbordenden Freundlichkeit der Türken?

Jedenfalls entscheiden wir uns kurzerhand, einen Offroadpass über den kleinen Kaukasus zu fahren. Natur ist immer heilsam. Und wir erhalten tatsächlich einen ersten Eindruck von den atemberaubenden Landschaften Georgiens. Und wir verbringen den Sonntagnachmittag in einem wohlig heissen Schwefelbad, welches bestimmt noch aus den Zeiten der Sovjetunion stammt. Die Stimmung wird besser, solche Kuriositäten mögen wir.


Die zwei Bauern, denen wir auf dem Pass begegnen, scheinen wenig bis keine Freude an uns zu haben. Oder doch? Wir wissen nie so recht, woran wir sind. Der eine Bauer wirkt, als würde er Gross R gleich eine Faus verpassen. Dann gibt er uns zu verstehen, wie toll unser Auto ist und rast davon. Ein anderer brummelt irgendwas Mürrisches und wir deuten es so, dass wir hier schon wandern können, dass er aber bissige Hunde hat.

Aufwachen auf dem Zekari Pass

Auf der Abfahrt vom Pass dann verfahren wir uns. Selbst Schuld. Schliesslich kommen wir doch noch in der Provinzhauptstadt Kutaisi an und beziehen ein Guesthouse in einem überraschend schönen Einfamilienhaus-Quartier. Hier scheint die Stimmung zum ersten Mal etwas gelöster. Und es gibt einen Freizeitpark, den wir, also Klein R, natürlich unbedingt besuchen müssen. An einem der allgegenwärtigen Sovjet-Schaltern mit klitzekleinem und immer viel zu tiefen Schiebefensterchen kriegen wir von einer beleibten, gelangweilten Dame die Fahrkarten. Diese tauschen wir dann bei übergewichtigen, behaarten Männern mit Bauchtasche in Jetons um und damit darf endlich der Spass beginnen. Das Riesenrad bietet neben Spass auch Nervenkitzel pur – zumindest für alle, die während der Fahrt statt der Aussicht, die verrosteten Gondeln und Streben bestaunen.


Ich muss noch zum Markt und so setze ich mein grimmigstes Gesicht und eine üble Laune auf. Man will ja schliesslich nicht auffallen. Als ich Zwetschgen kaufe und meine, dass mir die Verkäuferin gleich den vollen Sack um die Ohren pfeffern wird, gibt sie mir lachend die drei Lari zurück, die ich fälschlicherweise zu viel zahlen wollte. Ungläubig, wie billig diese Zwetschgen sind, gebe ich ihr einen Lari Trinkgeld und sie verabschiedet sich herzlich.



Kurz darauf liege ich auf einer Parkbank und versuche, einen akuten Anfall von Magendarmbeschwerden abzuwenden. Da kreist mich eine Horde Halbwüchsiger ein. Der Anführer der Bande gibt mir zu verstehen, dass sein Vater wegen Diebstahls im Gefängnis sitzt. Toll, danke. Dann übergebe ich mich halt woanders.

Wir haken alle Geschehnisse unter dem Deckmantel "Pech gehabt" ab und erinnern uns an die zahlreichen Reiseberichte von Backpackern und Overlandern, die von der Herzlichkeit der Georgier schwärmen. Die können doch nicht alle gelogen haben? Ich lese nochmals einige Berichte und entdecke nun in den Lobgesängen auch Worte wie "gewöhnungsbedürftig", "nicht einfach" und "Achterbahnfahrt der Gefühle". Offenbar haben wir diese Hinweise mit unserer rosa Brille der Vorfreude überlesen. Aber jeder Bericht schliesst damit, dass Georgien fasziniert und die Reisenden auf jeden Fall nochmal wiederkommen wollen. Wahrscheinlich haben wir nur noch nicht verstanden, wie man die etwas raue Schale der Georgier knackt.

Ich für meinen Teil schliesse bereits am Tag darauf Frieden mit Georgien. Als wir von Kutaisi Richtung Nordwesten fahren, reiht sich ein schönes Landhaus ans Nächste. Die meisten haben halbwilde hübsche Gärten. Hausschweine, Kühe und Hühner laufen frei herum. Alles ist üppig grün. Wer hier wohnt, kann überhaupt gar nicht schlecht gelaunt sein. Unser Nachtlager schlagen wir dann an einem sauberen Fluss auf und es ist eines der Schönsten der bisherigen Reise. Die wenigen Einheimischen, die vorbeifahren, grüssen uns alle freundlich und winken uns zu. Und sonst besuchen uns noch ein paar Schweine, Pferde und Kühe. Gross R traut dem Ganzen noch nicht so ganz – er wartet noch etwas ab mit seinem Urteil.


Am gleichen Tag, nahe an der Grenze zur umstrittenen Provinz Abchasien, kriegen wir bei einer kurzen Rast noch eine hübsche Dosis «Sovjetunion» mit auf den Weg.


Dann biegen wir ab ins Tal, welches uns ins sagenumwobende Svanetien bringen wird. Und es ist ab dem ersten Kilometer wunderschön hier.

 
 
 

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